Friedhofszwang gelockert
Totenasche erstmals an einem öffentlichen Ort in Bremen verstreut
Als einziges Bundesland hat Bremen den Friedhofszwang zur Beisetzung gelockert. Seit Mai darf die Asche Verstorbener auch auf öffentlichem Grund verstreut werden. Jetzt hat es erstmals die Genehmigung für einen Platz an der Weser gegeben.
Von Justus Randt
Weser-Kurier vom
Nicht auf dem Friedhof, sondern im Himmel. Immer mehr Bremer beantragen, ihre Asche verstreuen zu lassen.
dpa-Themendienst
Ginge es nicht um einen so ernsten Anlass, wäre „Deutschlandpremiere“ die richtige Bezeichnung: Erstmals ist am Donnerstag Totenasche mit amtlicher Genehmigung auf öffentlichem Grund verstreut worden. Als einziges Bundesland hat Bremen den Friedhofszwang zur Beisetzung gelockert. Im Mai wurde die Regelung auf Initiative der SPD- und der Grünen-Fraktion nachgebessert und vereinfacht: Bis dahin kamen lediglich Privatgrundstücke und zwei Wiesen auf den Friedhöfen Osterholz und Blumenthal in Betracht, um Asche zu verteilen. Jetzt hat es die Genehmigung erstmals für einen Platz an der Weser gegeben.
Im engsten Familienkreis, sagt Bestatter Heiner Schomburg aus dem Steintor, sei in einem Landschaftsschutzgebiet am Flussufer in Lesumbrok der Wunsch der Verstorbenen erfüllt worden, ihre Asche dort zu verstreuen. Bis es dazu kommen konnte, musste die Tochter der Toten großes Beharrungsvermögen an den Tag legen: Ihre Mutter ist bereits im Februar gestorben.
URNE BLIEB IM „TRAUERRAUM“
Zunächst habe der damals noch zuständige Umweltbetrieb Bremen sich gesperrt, sagt Schomburg. „Die haben einen Interessenkonflikt, die wollen ja ihre Flächen verkaufen.“ Die Bremerin habe nicht präzise genug verfügt, wo die Asche verstreut werden solle, habe es in der Ablehnung heißen. Die Angehörigen legten Widerspruch ein. Die Urne mit der Asche der Verstorbenen blieb unterdessen im „Trauerraum“, dem Institut von Heiner Schomburg.
Anfang des Jahres galt: Der Ort, an dem die Asche verteilt werden soll, muss schriftlich verfügt sein. Ebenso zwingend war es vorgeschrieben, einen sogenannten Totenfürsorge-Beauftragten festzulegen, der für die Asche und ihren Verbleib verantwortlich war. Wurde vergessen, jemanden zu benennen, oder starb der Beauftragte vor dem Antragsteller, musste der Umweltbetrieb das Anliegen ablehnen, und die Asche wurde auf dem Friedhof oder auf See bestattet. Immer wieder war es zu Problemen gekommen.
Mit der im Mai von SPD und Grünen initiierten Neufassung des Gesetzes über das Friedhofs- und Bestattungswesen hat sich einiges geändert. Seither liegt die Zuständigkeit bei Umweltsenatorin Maike Schaefer (Grüne). Die Totenfürsorge fällt nun, falls nicht anders benannt, den nächsten Angehörigen zu. Damit ist gewährleistet, dass Hinterbliebene den letzten Wunsch ihrer Angehörigen erfüllen können. Nach wie vor können nur Einwohnerinnen und Einwohner des Landes Bremen von der Lockerung des Friedhofszwanges profitieren – den es ausschließlich in Deutschland und Österreich gibt. Unverändert ist auch, dass der Ausstreuungswunsch und der Ort in einer schriftlichen Bestattungsverfügung dokumentiert sein müssen.
„Das ist ein Gesetz der Nationalsozialisten“, sagt Schomburg, „der Friedhofszwang ist längst überholt.“ Diese Ansicht scheint sich zu verbreiten: „Das Ausstreuen von Totenasche findet in der Bevölkerung als alternative Beisetzungsform immer mehr Akzeptanz“, teilt das Umweltressort mit. „Nahezu täglich“ gebe es Anfragen von Bürgern und Bestattern. „Im Schnitt wird alle acht bis zehn Tage ein Antrag auf Gartenbestattung gestellt“, ein weiterer deutlicher Anstieg sei zu erwarten.
BESTATTERVERBAND SIEHT KEINEN TREND
Christian Stubbe, der Vorsitzende des Bremer Bestatterverbandes, kann keinen Trend erkennen. „Wir haben das seit 2015 nur zwei- oder dreimal gemacht“, sagt er. Seit der Gesetzesänderung im Mai habe sich die Nachfrage in seinem Betrieb nicht erhöht. Die senatorische Behörde hatte im Zusammenhang mit der Novelle Zahlen erhoben und kam auf 84 Anträge auf Ascheverstreuung in den Jahren 2016 bis 2018, davon 22 im Jahr 2018. In zwölf Fällen gab es aus unterschiedlichen formalen Gründen keine Genehmigung. Beispielsweise weil handschriftliche Verfügungen unleserlich waren oder, wie in einem Fall, weil der Ort, an dem die Asche verstreut werden sollte, jenseits der Grenzen Bremens lag. 2018 hatte es auf den 13 städtischen Friedhöfen 3680 Urnen und 781 Erdbestattungen gegeben.
Seit Mai – und nun zum ersten Mal – kommen außer Privatgrundstücken und den zwei Streuwiesen auf Friedhöfen grundsätzlich auch öffentliche Plätze dafür infrage, dort Asche auszubringen – ausgewiesene Flächen gibt es jedoch nicht. Beträfen Anträge öffentlichen Flächen, werde jeweils geprüft, ob sie genehmigt werden könnten, teilt das Ressort mit. Dabei gehe es um die Abwägung öffentlichen und privaten Interesses: Im Vergleich zur Premiere im Lesumbroker Landschaftsschutzgebiet, das als freie Natur gilt, „wäre die Verstreuung in einem Naturschutzgebiet, insbesondere während der Brut- und Setzzeit, nicht denkbar“. Denn: „Immer muss auch die Totenwürde geschützt sein.“
Dass es mit der ersten Bestattung dieser Art auf öffentlichem Grund so lange gedauert hat, erklärt eine Sprecherin des Umweltressorts damit, “dass erst eine Linie gefunden“ werden musste. “Nachdem der Antrag zunächst abgelehnt wurde, weil es keine zur Verstreuung bestimmte städtische Fläche gab”, sei bei weiterer Prüfung die Lesumbroker Lösung gefunden worden. “Auch weil der Deichverband als Eigentümer der Fläche hierzu sein Einverständnis gab.” Das Umweltressort empfiehlt, in der Bestattungsverfügung unbedingt alternative Orte aufzuführen, wenn eine Friedhofsbeisetzung nicht gewünscht wird, “da bei öffentlichen Flächen das Risiko der Versagung höher liegt als bei privaten”.